Eric-Emmanuel Schmitt hat bereits viele Romane geschrieben, die sich mit den großen Themen der Menschheit auseinander setzen; „Oskar und die Dame in Rosa“ handelt am offensichtlichsten vom Thema Tod und Sterben, und ist so bereits eine Art Standardliteratur für alle geworden, die sich mit diesem Themenbereich auf literarische Art und Weise auseinandersetzen wollen.
Sein neuester Roman „Felix und die Quelle des Lebens“ dreht sich auf den ersten Blick um das Thema Depression. Eine Französin („Fatou“) mit Herkunft aus dem Senegal betreibt in Paris ein Bistro, und kümmert sich als alleinerziehende Mutter um ihren 12-jährigen Sohn Felix. Aber weder ihr Sohn noch die – z. T. sehr exzentrisch wirkenden – Stammgäste des Bistros können verhindern, dass die vormals lebensfrohe und lustige Fatou aufgrund behördlicher Schicksalsschläge in eine tiefe Depression verfällt.
Was dann folgt, ist eine tief-philosophische (und auch familientherapeutisch relevante) Parabel auf das Leben; ein eindringliches und fabelhaft formuliertes Statement dafür, wie entscheidend (familiäre) Bindungen für uns Menschen sind. In manchen Fällen sogar, wie überlebensnotwendig es sein kann, sich mit seinen Wurzeln, seiner Herkunft, und die sich daraus ergebenden Aspekten auseinander zu setzen. Und ja, auch Verlust und Trauer, Gefühle von Schuld und Wut spielen bei dieser Auseinandersetzung ein bedeutende Rolle.
Wer sich auf eine sprachlich leichte Art und Weise mit tiefgehenden philosophischen Lebensfragen beschäftigen möchte, ist bei nahezu allen Büchern von Eric-Emmanuel Schmitt gut aufgehoben – und eben besonders auch bei Felix und die Quelle des Lebens. Belohnt werden die Leser*innen mit einem Roman, der sich zwar mit ernsten und schweren Themen beschäftigt, dies aber mit Leichtigkeit, Humor und Optimismus unternimmt. „Felix und die Quelle des Lebens“ gelingt es, die Lesenden mit viel positiver und lebensbejahender Energie in Beziehung zu setzen und mit sprachlicher Leichtigkeit zum Denken und Hinterfragen einzuladen.
Inwieweit kann der Roman auch für die Arbeit in einem Hospiz bzw. mit Trauernden relevant sein?
Fatou entkommt – erkrankt an einer sehr schweren Depression – dem Tod nur sehr knapp. Die Heilung gelingt nicht durch Antidepressiva, sondern durch die Auseinandersetzung mit ihren (familiären) Wurzeln. Anlass ist eine aktuelle, zunächst nur behördliche Angelegenheit in Paris, in dessen Verlauf dann ein nur entfernt Bekannter stirbt, an dessen Tod sich Fatou schuldig fühlt. Der Anlass der von ihr so empfundenen aktuellen Schuld verweist auf das Gefühl einer viel tiefer sitzenden Schuld aus ihrer Vergangenheit. Einer Schuld, die sie empfindet, weil sie überlebt hat, während ihre Familie ausgelöscht wurde. Erst durch eine zeitliche wie auch örtliche Rückkehr gelingt ihr die Genesung. Und – er gelingt ihr nur durch Hilfe und Unterstützung: Sie ist, obwohl sie sich aktiv nicht mehr einbringen kann – angewiesen auf die Bindung zu ihrem Sohn, ihren Freunden aus dem Bistro, ihrem bisher abgelehnten Ehemann, einem Freund aus der Vergangenheit und einem Heiler.
Die Geschichte verweist auf einen Aspekt in der Trauerbegleitung, der häufig auftaucht – den Aspekt der Schuld. Man kann, auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg, im Alltag mit all seinen Anforderungen, funktionieren; und dann bringt ein aktueller Anlass alles zum Einsturz. Dies ist schmerzlich und teilweise auch qualvoll für die Betroffenen. Es kann – wenn dies im Kontakt mit Menschen stattfindet, mit denen die Betroffenen gut verbunden sind – aber auch eine Möglichkeit der Bewältigung, der Klärung, der Auseinandersetzung mit sich und seinen inneren Dämonen sein. Woran fühlt man sich in der Tiefe wirklich schuldig? Was meint man, früher einmal verursacht zu haben? Und wofür kann es gut sein, sich jetzt damit auseinandersetzen zu müssen? Das sind keine leichten Fragen; aber: „Um frei zu sein, musst Du wissen, warum du handelst, wie du handelst.“ Für uns Helfer*innen heißt das, dass wir den Betroffenen helfen müssen, sich selbst kennen zu lernen, trotz aller Scham und Schuld; sie durch diese Krise der Genesung hindurch zu begleiten (was viel Verständnis und Geduld erfordert), aber vor allem auch: In Kontakt zu bleiben, sich nicht abzuwenden.
„Felix und die Quelle des Lebens“
von Eric-Emmanuel Schmitt
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