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Neues aus unseren Häusern

Umgang mit Trauer

Unsere Ehrenamtliche Julia schreibt sehr beeindruckend über den Umgang mit ihrer eigenen Trauer:

Trauer

Kann man Trauer Revue passieren lassen? Ist es ein Prozess mit klarem Ende?

Ich versuche, mich hineinzufühlen in mein Leben vor zehn Jahren, als sich alles geändert hat, und merke, dass ich nicht tief graben muss. Die Trauer ist da – jeden Tag. Aber sie tut nicht mehr so weh. Oder anders. Weil mein Leben ja weitergegangen ist seitdem. Nur anders.

Elisabeth Kübler-Ross hat fünf Phasen der Trauer identifiziert, die zwar einen Prozess beschreiben, aber bei jedem Trauernden verschieden intensiv ausfallen, mal zwei Schritte nach vorne, aber auch durchaus wieder einen Schritt zurückmachen. Oder auch parallel laufen.

Aber jede diese Phasen ist in einem Teil des Trauer- und/oder Krankheitsprozesses da und wichtig!

Trauer ist individuell, und ich kann hier nur von meinen Trauerphasen sprechen:

Leugnen

„Nicht ich, das kann unmöglich mir passieren.“

Allgemein wird diese Phase mit Schock, Unglaube, Starre und Betäubung beschrieben. Das Leugnen schützt den Trauernden vorübergehend, bis er/sie so weit ist, sich dem Verlust zu stellen.

Diese Phase hat bei mir bereits vor dem Tod eingesetzt – mit der schweren Krebsdiagnose meines Mannes. Wie kann das passieren bei einem Menschen, der gesund, sportlich lebt und so jung ist? Warum er? Natürlich Fragen, die uns keiner beantworten konnte und die schließlich mit der Zeit mühsam wurden.

Wir haben die Krankheit nicht geleugnet, aber auch nicht voll akzeptiert. Mein Mann hat sich mutig durch die Behandlungen geschlagen und es fast drei weitere Jahre geschafft, sein „normales“ Leben wieder aufzunehmen. Und das nach jedem Rückschlag. Immer wieder. Mit Sicherheit eine Art des Leugnens, aber für uns der beste Weg trotz aller Widrigkeiten das Leben weiterhin zu genießen, für uns und unsere Kinder Familie zu sein und zu leben.

Sein Tod war dann eine Erlösung, die ich gar nicht mehr leugnen wollte.

Wut

„Warum ausgerechnet ich?“ oder „Warum mein geliebter Mensch?“

Wutgefühle können den Hinterbliebenen helfen, sich von den Schmerzen zu erholen. Dies kann sich in Vorwürfen an die Ärzte genauso äußern wie Wut an Gott oder Dritte.

Wut rauslassen ist hier die Devise – egal, ob durch Gespräche, körperliche Bewegung, Tagebuch schreiben.

Auch bei uns hat sich die Wut während der Diagnose eingestellt, und wir beide – mein Mann und ich – haben alles gegeben, die Wut rauszulassen. Wir haben angefangen so viel wie möglich aufzuschreiben, haben beide Sport gemacht und mit vertrauten Personen gesprochen bzw. uns Hilfe geholt, um zu verstehen. Für uns war das schon im Verlauf der Krankheit die richtige Strategie.

Meine Wut nach dem Tod meines Mannes bezog sich dann tatsächlich auf Gott, und ich bin wutentbrannt zu einem Pastor gegangen und habe ihn gefragt, wie Gott das zulassen konnte: einen jungen Familienvater mit zwei kleinen Kindern sterben zu lassen.

Aber auch Wut auf meinen Mann, mich allein zu lassen in einem Leben, das wir gemeinsam geplant haben. Allein mit zwei kleinen Kindern, Job, Haushalt, einfach allem.

Was ich aus dieser Phase mitgenommen habe: Ich kann meine Wut kanalisieren. Sie geht vorüber und ist wichtig, die innere Spannung abzubauen.

Schuldgefühle

„Warum habe ich nicht…?“ oder „Hätte ich doch nur…!“

Hinter diesen Fragen steht oft der Wunsch, noch einmal eine Chance mit dem geliebten Menschen zu bekommen. Der (natürliche oder krankheitsbedingte) Tod wird dann häufig nicht als Teil des Lebens akzeptiert, weil es einfacher erscheint, sich selbst Vorwürfe zu machen.

Diese Phase kam bei mir ziemlich zeitgleich mit der Wut und wurde von Philipp Poisels Lied „Eiserner Steg“ begleitet, wo es darum geht, dass man dem Partner noch einmal nah sein will, bevor er/sie für immer geht. Tränenflut vorprogrammiert.

Ich habe mir ständig die Frage gestellt, ob ich ihm oft genug gesagt habe, wie sehr ich ihn liebe, ob ich immer richtig reagiert habe, netter hätte sein müssen.

Bis ich gemerkt habe, dass auch diese Fragen müßig sind, denn Antworten werde ich darauf nicht mehr bekommen. Aber ich habe mir angewöhnt, die Situationen noch einmal zu reflektieren und mich zu fragen, ob ich aus jetziger Sicht anders reagiert hätte. Und meist war die Antwort „Nein.“

Die Akzeptanz des Todes als Teil des Lebens, die sich daraus ergibt, macht ihn zwar nicht leichter, aber das Leben lebenswerter!

Depression

„Das Spiel ist aus.“

Hoffnungslosigkeit, Trägheit, Apathie, Isolation und Traurigkeit sind Zeichen für diese Phase, die sich Trauerdepression nennt. Die Dauer ist individuell aber definitiv vorübergehender Natur.

Mir hat es sehr geholfen, Familie und Freunde um mich zu haben. Ich hatte mit zwei kleinen Kindern fast Panik vor den Wochenenden, an denen alle Familien vermeintlich unter sich sind und ich alleine bin, unfähig in meiner Trauer, die Kinder zu bespielen.

Aber: Zum Einen waren die Kinder selbst Rettungsanker, weil mir gar nichts anderes übrig blieb, als in Aktion zu bleiben, und zum Anderen haben sich glücklicherweise auch die Sorgen um die einsamen Wochenenden zerschlagen, weil sich der Freundeskreis rührend um uns gekümmert hat, uns eingeladen oder zu Ausflügen mitgenommen hat.

Auch das muss nicht immer einfach sein, weil man so viele glückliche, intakte Familien um sich herum hat. Und auch das hat bei mir zu großer Traurigkeit geführt. Aber letztendlich war es genau das Richtige, um gar nicht so tief in die Depression zu rutschen.

Akzeptanz

„Es ist gut so.“

Irgendwann ist der Punkt da, die Realität des Todes zu akzeptieren, und der Heilungsprozess beginnt. Es gibt neue Hoffnung, neue Möglichkeiten, man richtet sich in dem neuen Leben ein.

Für mich war es auch die Zeit, in der ich erkannt habe, dass ich nicht ständig von Traurigkeit überwältigt werde und dass ich in der ganzen Zeit der Krankheit und Trauer auch für mich etwas gelernt habe. Ich weiß, was ich kann, sehe meine Stärken und kann sie in vielen Situationen einsetzen. Daraus erwächst auch die Zuversicht, den gemeinsam geschmiedeten Zukunftsplan umändern zu können und zu dürfen.

Ich bin dankbar für mein Leben und habe auf jeden Fall einen anderen Blick auf dieses wertvolle, zeitlich begrenzte Glück, das ich selbst in meiner Hand habe.

Ist damit meine Trauer abgeschlossen?

Nein!

Ich war wütend, hatte Schuldgefühle und habe meinen Lauf des Lebens so akzeptiert. Bin glücklich, habe eine Liebe, die mich in meinem „neuen“ Leben begleitet, viele Pläne und bin dankbar für alles wie es war und ist.

Aber: Es gibt Tage, an denen ich nur ein bestimmtes Lied hören, Zeilen lesen oder Bilder sehen muss, und mich überwältigt unendliche Traurigkeit. Ich lasse diese Momente zu, heule Rotz und Wasser, und sie gehen vorüber.

Darauf folgt bei mir eine noch größere Dankbarkeit – für alles, was ich habe, und für jeden, der mich und uns begleitet. Trauer lebt – und das ist auch gut so!